Discussion:
R.E.M. in Wiesbaden - Konzertkritik
(zu alt für eine Antwort)
Dirk Jung
2003-07-21 20:23:42 UTC
Permalink
Hallo!

Am Samstag war es endlich so weit - für mich bisher auf jeden Fall das
Konzertereignis des Jahres, das halbe Jahr warten hat sich gelohnt!

Aber alles der Reihe nach:
"Bowling Green", Wiesbaden stand auf den Plakaten und der Karte, und das
sagte mir erstmal überhaupt nichts - nach Recherche vor Ort fand ich
dann heraus, dass das eine Rasenfläche vorm Kurhaus in Wiesbaden ist.
Etwa die Fläche eines Fußballfelds, mit hohen Bäumen an den Seiten und
zwei Brunnen in der Mitte, umgeben nur von historischen Gebäuden wie
Kurhaus, zwei Säulenhallen und einem alten Hotel. Auf jeden Fall ein
etwas anderer Konzertort.

Am Samstag haben wir uns dann gegen Mittag zu dritt auf den Weg gemacht
- der Rucksack voll mit Wasserflaschen, einer Wolldecke, Sonnenmilch und
abgenommenen Hosenbeinen. Mit dem Bus kamen wir gegen halb zwei am
Wiesbadener Hauptbahnhof an, ab da zu Fuß zum Kurhaus. Dort war der
Platz abgesperrt, aber durch ein paar Lücken in der Plane konnte man
schon entdecken, dass am Rand ausreichend Getränke-, Brezel- und
Würstchenbuden aufgereiht standen und direkt vorm Kurhaus eine hohe
Bühne. Laut Karte war 18.00 Uhr Einlass, und es saßen schon ein paar
Leute vor den Eingängen, aber uns war es dort bei weitem zu sonnig, und
so ging es erstmal in den Kurpark in den Schatten. Nach einem Imbiss bei
Feinkost Käfer im Kurpark (man gönnt sich ja sonst nichts) verlagerten
wir unsere Decke dann vor den Kurpark an den Nebeneingang rechts neben
der Bühne. Dort war so gegen viertel vor fünf schon ordentlich Betrieb,
so etwa 100 Fans saßen auf der Straße oder den Grünstreifen. Dann
plötzlich Bewegung: Die Tore wurden schon gegen 17:15 Uhr geöffnet, und
so drängten wir uns auch hinein. Bei der Taschenkontrolle wurden
übrigens weder die (teils leeren, teils vollen) PET-Wasserflaschen noch
der Regenschirm [1] bemängelt!

Da noch sehr wenig los war, breiteten wir jetzt die Decke in der Mitte
nur etwa 20 m von der Bühne entfernt aus und cremten uns erstmal
ordentlich ein, denn an Schatten war für die nächsten Stunden nicht mehr
zu denken. Der Toilettenbesuch war dann die nächste dicke Überraschung:
statt das Volk mit stickigen, aufgeheizten Dixi-Klos abzuspeisen, waren
die Toiletten der Nebengebäude geöffnet - d. h. wir konnten im "Kleinen
Spiel" des Kasinos oder bei Käfers im Restaurant pinkeln und hätten auch
dort essen können - das Restaurant war den ganzen Abend geöffnet,
allerdings wegen der Absperrungen exklusiv für Konzertgänger (aber das
wäre vielleicht teurer geworden als das Konzert). Die Bratwurst dagegen
war gut, das Bier nicht so (Licher), und die Zapfer auch nicht so fit.

Pünktlich gegen viertel vor sieben dann die erste Vorband (nächste
Überraschung: Die Plakate kündeten nur Blumfeld an), und zwar die "Bambi
Molesters". Netter Instrumental-Surf-Sound, sympathisch vorgebracht. Und
die Band tat mir in den schwarzen Klamotten bei dem Wetter im
strahlendsten Sonnenschein leid.

So etwa halb acht dann Blumfeld. Jochen Distelmeyer mühte sich redlich,
das Publikum ein wenig zu Reaktionen zu bringen. Gelang auch teilweise.
Allerdings war der Bass bis etwa zur Hälfte des Auftritts grausam
abgemischt. "Tausend Tränen tief" haben sie übrigens nicht gespielt.

Viertel vor neun, kurz nachdem sich Torsten mit drei Bier wieder zu uns
durchgekämpft hatte, war es endlich so weit: Die drei Helden des Abend
betraten die Bühne. Michael Stipe in einem dunkelbraunen (Cord?-) Anzug
über türkisfarbenem Hemd mit passender Krawatte und hellem Cowboyhut,
Mike Mills mit gelber Jacke über orangenem Hemd und Peter Buck in rosa
Rüschenhemd mit schwarzer Hose. Modisch waren sie ja schon immer
Trendsetter ;-)

Und dann folgten gut zwei Stunden volles Programm, angefangen mit "Begin
the begin" [2], und traditionell beendet mit "It's the end of the world
(and I feel fine)". Eine gelungene Mischung aus obskurem alten Zeug für
die wahren Fans, den großen Hits für die "Mitläufer", und zwei neuen
Songs für alle. Außer "Murmur", "Reckoning" und "Green" waren IIRC alle
Alben mindestens einmal vertreten, und es tat einfach gut! Michael
bewies wieder einmal seine Entertainer-Qualitäten, Mike solide wie
immer, und Peter ebenfalls so herrlich unspektakulär wie gewohnt. Und
immer wieder kleine Überraschungen: "Drive" mal nicht in der
"Live-Fassung", sondern wie auf Platte. Die beiden neuen Stücke rocken
mal wieder richtig. Michael erzählte, dass er mit 7 Jahren mal in Hanau
gewohnt hat.

Zwei Kritikpunkte allerdings wegen dem Sound: Mikes Gesang war lange
Zeit zu leise, genauso die zweite Gitarre bei so manchem Stück -
insbesondere der E-Gitarreneinsatz bei "Drive" war nicht knackig genug.

Nach dem Konzert ging es dann mit tausenden von Anderen in Richtung
Bahnhof. Auch das ging wunderbar entspannt vor sich. Wir haben sogar -
trotz dreimal Umsteigen mit dem Bus - noch die letzte S-Bahn von
Niederhausen erwischt. Danke, RMV! ;-)

Und so ganz nebenbei: Das Konzert wurde mitgefilmt, und in ein paar
Monaten soll es eine DVD geben! Schon mal vormerken für den
Weihnachts-Wunschzettel, wenn ihr ein wunderbares Rock-Konzert mit einem
euphorischem Publikum sehen wollt!

Tschüss, Dirk

[1] den hatte ich ganz im Rucksack vergessen - machte sich aber auch gut
als Sonnenschirm
[2] Statt "What's the frequency, Kenneth?", was ich eher erwartet hätte.
Das war dann das zweite Stück.

np: R.E.M. - At My Most Beautiful
--
aber ich hab zu ihm gesagt es genügt wenn man lesen kann dann lernt man
was man noch nit gewuszt hat indes wenn man schreibet dann schreibt man
immer nur was man schon weisz - Umberto Eco, Baudolino
Andrew Morgan
2003-07-22 08:27:03 UTC
Permalink
Manometer, das groovte ja nun üüüberhaupt nich' damals.
Kenne ich auch nicht anders - In München anfang der 90er ("Green"
tour???) eine der langweiligsten Gigs die ich jemals gesehen habe -
Dabei war ich zu der Zeitpunkt eigentlich fanatischer REM-Fan.
Mittlerweile haben sie sich aber vollends in bedeutungslose Seichttum
verfangen. Jammerschade eigentlich.


andy M

np: REM - Dont go back to Rockville
Danny Kowerko
2003-07-22 21:24:03 UTC
Permalink
Post by Andrew Morgan
Mittlerweile haben sie sich aber vollends in bedeutungslose Seichttum
verfangen. Jammerschade eigentlich.
Sorry Jungs, ich bin wahrscheinlich nur "Mitläufer", da ich nur die Alben ab
Epnoymous hab, aber ich find die Alben vor Monster musikalisch eher seicht.
Und von Bedeutungslosigkeit kann nicht die Rede sein ab Monster(natürlich
auch davor nicht). Aber es is ja auch cool und stylisch einfach nur dagegen
zu sein. Aber du kannst mir auch nochmal ne Begründung liefern, was
besonders seicht ist heute verglichen mit früher...lerne gern dazu

Danke + Gruß Danny.
Julian Einwag
2003-08-03 14:07:41 UTC
Permalink
S.o. Letzendlich wären die ersten LP´s an sich auch massentauglich
gewesen - Damals hat "das Volk" aber auch was anderes gehört. Für mich
haben die Jungs einfach nicht mehr die Magie von damals. Ich habe zwar
alles gekauft aber bei Reveal ist bei mir ende der Fahnenstange - Ich
habs nicht mal geschafft, komplett durchzuhören. Die Lieder sind so
angeglichen, monoton und *uninteressant*, dass ich einfach
weiterschalten muss. "Celebration of Life" ist mit Abstand das beste
Stück und auch das ist sehr mittelmässig.
Also mit 'Reveal' kann ich auch nicht viel anfangen. Wenn ich die mit
'Up' vergleiche - weia!
NAIHF ist meine Lieblingsplatte - die oder Monster dürften wohl die
verkanntesten R.E.M.-Alben sein.

Andreas Eibach
2003-07-23 11:51:14 UTC
Permalink
Post by Andrew Morgan
Manometer, das groovte ja nun üüüberhaupt nich' damals.
Kenne ich auch nicht anders - In München anfang der 90er ("Green"
tour???) eine der langweiligsten Gigs die ich jemals gesehen habe -
Dabei war ich zu der Zeitpunkt eigentlich fanatischer REM-Fan.
Mittlerweile haben sie sich aber vollends in bedeutungslose Seichttum
verfangen. Jammerschade eigentlich.
War das noch _bevor_ "Out Of Time" rauskam oder danach??

Andreas
Andrew Morgan
2003-07-24 12:41:32 UTC
Permalink
Post by Andreas Eibach
War das noch _bevor_ "Out Of Time" rauskam oder danach??
Persönlich wurde ich sagen ab da dauerhaft sinkend.


andy M
Dirk Jung
2003-07-24 20:31:47 UTC
Permalink
Post by Andrew Morgan
Post by Andreas Eibach
War das noch _bevor_ "Out Of Time" rauskam oder danach??
Persönlich wurde ich sagen ab da dauerhaft sinkend.
"Automatic for the people" ist IMHO ein Meisterwerk, "Monster" und "New
adventures in Hi-Fi" sind auch alles andere als schlecht.
Dem kann ich voll und ganz zustimmen (bzw. "Yeah, yeah, yeah, yeah!").
NAIHF ist wohl ihr unterschätztetes Album.
..."Up" und
"Reveal" sind über die volle Distanz vielleicht etwas lahmer, aber immer
noch weit von "schlecht" entfernt.
"Up" war eindeutig ein Krisenalbum - aber wenn der Drummer aufhört, muss
man deswegen nicht die Gitarren runterfahren... "Reveal" hat mich auch
nicht so ganz überzeugt. Da fehlt wirklich so ein bisschen "Hey, Kids,
Rock'n'Roll!"
... Ich find nur die "Out of time" recht mäßig.
Damit habe ich R.E.M. entdeckt - das war der Soundtrack zu meinem
Zivildienst, von daher kann ich das gar nicht schlecht finden, da werde
ich immer nostalgisch. Aber aus heutiger Sicht ist das schon
stellenweise mittelmäßig bis albern.

Tschüss, Dirk

np: Man On The Moon (Instrumental) (vom "Man On The Moon"-Soundtrack)
--
aber ich hab zu ihm gesagt es genügt wenn man lesen kann dann lernt man
was man noch nit gewuszt hat indes wenn man schreibet dann schreibt man
immer nur was man schon weisz - Umberto Eco, Baudolino
Andrew Morgan
2003-07-25 09:59:04 UTC
Permalink
Post by Dirk Jung
Dem kann ich voll und ganz zustimmen (bzw. "Yeah, yeah, yeah, yeah!").
NAIHF ist wohl ihr unterschätztetes Album.
OK. NAIHF kann ich auch einiges abgewinnen. "Monster" ist auch ok, aber
da haben die ganzen "das ist unser punk-rock Lp" Aussagen das ganze
etwas madig gemacht.
Post by Dirk Jung
..."Up" und "Reveal" sind über die volle Distanz vielleicht etwas
lahmer, aber immer noch weit von "schlecht" entfernt.
NACK. "Reveal" ist wirklich schlecht. Frag dich mal - Wurden REM mit
"UP" oder "Reveal" als Debut überhaupt Beachtung finden? Reamonn gibts
ja schon....

NAIHF oder Mosnster wurden zumindest für Underground-Kultstatus reichen...

andy M
Ingo van Lil
2003-07-25 11:33:21 UTC
Permalink
Post by Dirk Jung
"Automatic for the people" ist IMHO ein Meisterwerk, "Monster" und "New
adventures in Hi-Fi" sind auch alles andere als schlecht.
Dem kann ich voll und ganz zustimmen (bzw. "Yeah, yeah, yeah, yeah!").
NAIHF ist wohl ihr unterschätztetes Album.
Das ist unterschätzt? Mir gefällt es zumindest am besten von allen,
dicht gefolgt von AFTP, Monster und Green.
Post by Dirk Jung
... Ich find nur die "Out of time" recht mäßig.
Es ist zwar eher seicht, aber ich liebe einige der Titel. Allen voran
natürlich die Klassiker "Losing my Religion" und "Shiny Happy People",
aber ich finde z.B. "Endgame" auch ganz prima. Ist halt nicht der
typische R.E.M.-Sound.

Tschau,
Ingo
--
Hobbes: How come we play war and not peace?
Calvin: Too few role models. -- Bill Watterson, Calvin and Hobbes
Lukas Heinser
2003-07-25 22:02:28 UTC
Permalink
Vielleicht kommt ja demnächst mal wieder was rockigeres, vielleicht eine Art
"Souljacker" nach "Daisies of the galaxy" wie bei den Eels...
Es deutet zumindest viel darauf hin. "All the right friends" auf dem
Soundtrack zu "Vanilla Sky" war zwar nur ein Aufguss eines uralten
Stücks, aber die Richtung stimmte schon mal.

Lukas
--
"Wenn Ikea fragt 'Wohnst du noch, oder lebst du schon?' würde ich am
liebsten antworten: Ja, ich lebe schon, würde aber am liebsten ganz gern
wieder nur noch wohnen." (Florian Illies)
http://www.bloedonline.de
Dirk Jung
2003-07-26 20:14:04 UTC
Permalink
Vielleicht kommt ja demnächst mal wieder was rockigeres, vielleicht eine Art
"Souljacker" nach "Daisies of the galaxy" wie bei den Eels...
"Animal" und "Bad Day", die beiden neuen Stücke in Wiesbaden, waren auf
jeden Fall wieder rockiger.

Tschüss, Dirk
--
aber ich hab zu ihm gesagt es genügt wenn man lesen kann dann lernt man
was man noch nit gewuszt hat indes wenn man schreibet dann schreibt man
immer nur was man schon weisz - Umberto Eco, Baudolino
Lesen Sie weiter auf narkive:
Loading...